BZ, 15. August 1986

Dorothea Paulis 15 ai-Jahre

Als freiwillige Helferin bei Amnesty International in Bern

«Plötzlich wurde ich aus meinem wohlbehüteten Nest hinausgeworfen». Dorothea Pauli blickt zurück - aber nicht im Zorn. Im Gegenteil. Sie berichtet von jener schwierigen Zeit, als ihr Einsatz im Büro der Schweizer Sektion von Amnesty International in Bern begann. Seit 15 Jahren arbeitet die Hausfrau und Mutter dreier Kinder durchschnittlich einen Tag pro Woche für die Menschenrechtsorganisation. Freiwillig und gratis.

E. Z. Der Zufall spielte mit. An einer Wohltätigkeitsveranstaltung, gut 15 Jahre sind's her, stiess Dorothea Pauli auf Amnesty International. Der Anlass mit Mani Matter, erinnert sie sich, «ist mir damals richtig eingefahren, wie man heute so sagt». Bis zu jenem Zeitpunkt nämlich, stand für die Hausfrau und Mutter eines fest: «In Russland ist es schlecht und gut ist's bei uns.» Indes: Das Schwarz-weiss-Schema löste sich plötzlich auf und machte einem differenzierten Weltbild Platz.

Die einst «sehr bürgerliche Frau» (Dorothea Pauli heute über sich selbst) nahm ihre Amnesty-Arbeit in einer Berner Basisgruppe auf, die politische Gefangene aus den verschiedenen Blöcken begleitete. Und als Mitte der 70er Jahre in Bern das eigentliche Schweizer Sekretariat auf die Beine gestellt wurde, packte Dorothea Pauli spontan zu: Sie erledigte mit andern zusammen den Bürokram und übernahm schliesslich die Beantwortung von Anfragen rund um die Menschenrechtsorganisation. Als sogenannte «Freiwillige» war sie damals allein im Sekretariat tätig. Auch das hat sich geändert: Heute leisten hier 30 bis 40 Frauen und Männer regelmässig ihren Frondienst für Amnesty. Was Wunder, dass die Organisation in ihrer jetzigen Form ohne diese Gratisarbeit nicht existieren könnte. «Für mich», ist Dorothea Pauli überzeugt, «entsprach diese Tätigkeit im Kreis mit Gleichgesinnten einem grossen Bedürfnis. »

Die Kehrseite der sozialen Medaille: Dorothea Paulis Bekannte zeigten kaum Verständnis für das Engagement bei Amnesty, und bei Standaktionen wurde die Frau, die sich für die Einhaltung der Menschenrechte exponierte, angepöbelt. Der Grund: Amnesty International war zu jener Zeit umstritten, nicht salonfähig. «Die meisten Leute», übt Dorothea Pauli im nachhinein Selbstkritik, «dachten wohl damals wie ich. Sie glaubten, dass Menschenrechte nur im Osten verletzt werden.» Ungerechtigkeiten im Westen seien oft gar nicht zur Kenntnis genommen worden: Francos Spanien oder die Greueltaten der griechischen Junta hätte man beispielsweise lange «als Lügenmärchen» abgetan. Und empört sei man darüber erst dann gewesen, als es politisch opportun wurde.

15 Jahre im Dienste von Amnesty International, ein Gratis-Einsatz notabene. Aber Dorothea Pauli winkt, ab: «Keine besondere Leistung - mein Mann verdient gut.» Und dass ihre Arbeit dazu beigetragen hat, dass die Menschenrechte in Ost und West weniger mit Füssen getreten werden, daran glaubt sie nicht. «Aber mir persönlich», bilanziert Dorothea Pauli, «haben diese Jahre sehr viel gebracht. Es war das erstemal, dass ich die Familie verliess und meinen Horizont erweiterte.» Dadurch sei sie «wohl auch offener geworden». Die «freundschaftliche Stimmung», die unter den Amnesty-Leuten herrsche, habe sie immer geschätzt.

Trotzdem: Dorothea Pauli hat bei Amnesty zurückgesteckt und konzentriert sich heute primär auf die konkrete Flüchtlingsarbeit in der Schweiz. Eine «logische Entwicklung», wie sie meint. Denn: Die Gefangenenbetreuung sei oft sehr abstrakt gewesen, bei vielen Briefen hätte man vergeblich auf eine Antwort gewartet. In ihrem neuen Aufgabenbereich könne sie in direktem Kontakt mit Asylanten arbeiten und nach einem bestmöglichen Weg suchen. Dorothea Pauli möchte nicht das eine gegen das andere ausspielen. Nur: «Man macht sich ja keine Vorstellung darüber, was alles mit diesen Menschen hier passiert.»

So betrachtet, ist das 25-Jahre-Amnesty-International-Fest von morgen irgendwie ein Abschied für Dorothea Pauli. Erinnerungen werden wach. Weisst du noch - Elias, der Rhodesier, der politische Gefangene? Die Amnesty-Leute werden es noch wissen, an den intensiven Briefwechsel denken, sich über Elias' spätere Freilassung freuen. Die Öffentlichkeit nimmt es vielleicht hiermit zur Kenntnis - oder auch nicht. Denn Gegenwart zählt und Zukunft ist gefragt. «Es ist doch eigenartig, immer dann, wenn es uns am besten geht, werden wir engherzig, geizig und wollen mit niemandem teilen.» Das sagt Dorothea Pauli, seit 15 Jahren bei Amnesty International. Freiwillig.